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Moderne Fremdsprachen und Latein - 2015 2016 Cecina

2015 2016 Cecina

Tempo dei miracoli – Austausch mit Cecina 2016

Das Lebkuchenherz mit dem Nickname des Austauschpartners in der Hand steht man unsicher vor der kichernden, frisch gelieferten Menge italienischer Austauschschüler und versucht ein Gesicht zu finden, das zu der anonymen Beschreibung passt, die man vor gut zwei Wochen bekommen hat, und seitdem man auf den Details und Worten herumreitet und sich einen passenden italienischen Teenager daraus zusammenzimmert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ich kenne dieses Mädchen schon ewig, das sich hoffentlich bald aus der Gruppe lösen und zu mir nach vorne kommen wird, doch als ich vor diesen fremden Jugendlichen stehe und ich weiß, dass ich hier gar niemanden erkennen kann, weil ich niemanden kenne, schicke ich doch noch ein kleines Stoßgebet in den Himmel, sie möge bloß nicht – nein, es möge bloß die Richtige für mich sein und das ein so toller Austausch werden, wie ich seit Anfang des Jahres hoffe. Ja, es war ein toller Austausch. Anders als erwartet, denn es ist schwer, sich eine so völlig neue Situation vorzustellen. Auch meine Austauschpartnerin ist ganz anders als erwartet und trotzdem hat sie sich selbst so gut beschrieben, dass ich nach einer kurzen Weile wieder das Gefühl bekomme, sie wäre schon lange meine Freundin. Nach anfänglichen Schüchternheiten, einem bayerischen Weißwurstfrühstück in der Mensa, einer Schulhausführung und einer kleinen Kostprobe deutschen Unterrichts geht es nach Hause. Bei dem ersten deutschen Mittagessen beschnuppern sich Italiener und deutsche Familie; doch bald stellen wir fest: es passt – und wie! Am Nachmittag haben die Italiener Zeit, sich einzuleben, auszupacken und uns Deutsche besser kennenzulernen. Am nächsten Tag werden sie beim Bürgermeister erwartet, der sie in Germering willkommen heißt, danach geht es weiter in die KZ-Gedenkstätte Dachau. Auf dem Programm, das die deutschen Lehrerinnen für unsere italienischen Gäste zusammengestellt haben, steht für den Donnerstag ein Besuch in einer Bäckerei zum Breznbacken und am Nachmittag eine Stadtrallye in München mit uns Deutschen. Am Freitag geht es dann nach fünf Stunden Unterricht noch einmal in die bayerische Hauptstadt ins Deutsche Museum, wo wir unsere italienischen Austauschschüler am Nachmittag abholen, um ihnen noch ein wenig „unser“ München zu zeigen. Vor allem den Viktualienmarkt, auf dem meine Austauschpartnerin und ich uns mit meinen Eltern treffen, um Zutaten für ein leckeres bayerisches Gericht einzukaufen, das wir Samstagabend alle zusammen kochen werden. Morgen steht jedoch erst einmal der gemeinsame Ausflug nach Schloss Neuschwanstein an. Der Sonntag endlich ist zur freien Gestaltung in der Familie, an dem viele nach Andechs  hochsteigen. Da jedoch der Schnee meine Italienerin so verzaubert, fahren wir heute zur Firstalm, um Schlittenfahren zu gehen und ihr den Wintertag zu geben, den sie in Italien nicht erleben kann. Am Abend, nach dem gemeinsamen Abschlussessen im Schmelzer´s in Germering sind wir alle ganz melancholisch, denn am nächsten Tag um die Zeit werden wir uns in München am Bahnhof treffen, um uns zu verabschieden. Und der Abschied ist tränenreich; nach einem langen Schultag beginnt ein letzter Abend in der Familie. Meine italienische Freundin hat sich gewünscht, dass sie gemeinsam mit meinen Eltern und mir ein italienisches Gericht kochen darf. Das ist ihr Abschiedsgeschenk, ein kleiner Hauch italienische Kultur, die sie in unserer Familie hinterlässt.

Einen ganzen, viel zu langen Monat später sind wir dann im Bus auf dem Weg nach Cecina.  Es ist bereits Abend, als wir ankommen, und am Schulparkplatz warten unsere Austauschpartner mit ihren Eltern auf uns. Der Bus hält an und einen kurzen Moment sagt niemand etwas von uns, jeder ist damit beschäftigt, seine Familie in der Menge zu finden. Dann geht die Tür auf, zögerlich steigen wir einer nach dem anderen aus dem Bus, doch als die Italiener auf uns zu rennen, stürmisch und offen, wie sie sind, ist die Schüchternheit gelöst, der vergangene Monat der Trennung vergessen. Die Familie kennen zu lernen ist noch einmal ein Schritt, der ein wenig Mut verlangt, doch die Italiener schaffen es schnell, dass wir uns zuhause fühlen; zur Begrüßung gibt es erst einmal ein riesiges Abendessen von drei Gängen leckerster italienischer Küche. Am nächsten Tag, einem Samstag, gehen wir das erste Mal mit den Italienern in ihre Schule. Auch wir werden von dem Direktor, einer Schulhausführung und einem kleinen Buffet,  das unsere Austauschpartner für uns zusammengestellt haben, begrüßt.  Danach geht es auch schon mit dem Programm los: als erstes besuchen wir einen „Parco Archeologico“, eine römische Villa, die noch gut intakt ist und einen Einblick in das Leben der Römer gibt, das einige von uns nur aus dem Lateinunterricht kennen. Dann fahren wir mit unseren Austauschpartnern wieder nach Hause, wo uns ein üppiges Mittagessen erwartet. Der Nachmittag und der darauf folgende Sonntag sind zur freien Gestaltung in der Familie. Manche von uns fahren nach Livorno oder Cecina, um shoppen zu gehen und die Stadt zu sehen, andere essen am Abend mit ihrer Gastfamilie in einem italienischen Restaurant. Doch wohl die meisten, darunter auch ich, verbringen den Tag am Meer. Die weißen Strände bei Vada sind wie gemalt und so türkis, wie man sie nur von Postkarten von gemeinen Freunden kennt, die einen eifersüchtig machen wollen. Es ist schön, mit der Familie Zeit zu verbringen – sie sind mir schon am ersten Abend ans Herz gewachsen mit ihrer Herzlichkeit. Am Montag dann erwarten uns zwei Stunden Unterricht, bevor auch wir zum Bürgermeister gehen, um uns begrüßen zu lassen. Danach haben wir eine Stunde Zeit – die wir nutzen, um eine Eisdiele zu belagern, bis sie aufmacht, und ein leckeres, selbst gemachtes Eis zu essen – bis wir mit dem Zug nach Pisa fahren. Dort angekommen werden wir von einer Stadtführerin in Empfang genommen, die uns im Zickzack durch ganz Pisa führt bis hin zum „Piazza dei Miracoli“ und dem berühmten schiefen Turm von Pisa. Am Dienstag jedoch erwartet uns das Highlight des Austauschs. Die ganze Truppe fährt nach Florenz, um am Vormittag mit einer kleinen Führung die Stadt kennen zu lernen und den Nachmittag in kleinen Grüppchen nach Belieben zu gestalten. Mit einer kichernden Schar Italienerinnen ziehen meine Austauschpartnerin und ich los, um in dieser Stadt der teuren Marken bezahlbare Schnäppchen zu jagen und die Sonne zu genießen, die uns Florenz in seinem schönsten Licht präsentiert. Der Mittwoch, unser letzter Tag, besteht zum größten Teil aus Schule; jetzt, eine Woche in einer italienischen Familie später, haben wir uns genug eingesprochen, um dem Unterricht mehr oder weniger gut folgen zu können. Nach einem Besuch in der „Pineta di Cecina“, einem Pinienwald an der Küste, haben wir noch ein paar Stunden Zeit, bis wir uns für ein allerletztes Abendessen in einer Trattoria zum Pizzaessen treffen, um diesen tollen Austausch ausklingen zu lassen. Wenn wir an diesem Abend zurückblicken, an die vielen neuen italienischen Freunde, die wir gefunden und die kleinen Abenteuer, die wir jeden Tag erlebt haben, wissen wir, dass es für viele von uns, egal, wie schmerzhaft der Abschied am Morgen sein wird, kein Abschied auf ewig ist, sondern der Beginn einer langen Freundschaft über Austausch und Schule hinaus.

 

Fiona Fischer, 10a